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Wer bei "Hard Candy" einen Splatter erwartet, liegt falsch. Dieser Low-Budget-Psycho-Thriller mit Hintergrund weiß vielmehr als emotionales Gemetzel zu schockieren. Harte Kost.

Ellen Page und Patrick Wilson in "Hard Candy"Eines vorweg: "Hard Candy" ist alles andere als ein leicht konsumierbarer Film. Gründe dafür gibt es mehrere. Zuallererst die Geschichte: Jeff - Yuppie-Fotograf Anfang 30 - lernt in einem Chatroom die 14-jährige Hayley kennen. Weil man sich auf Anhieb so gut versteht, entschließen sich die Beiden zu einem Treffen im Coffeeshop. Der Mann zeigt sich von seiner blutjungen Internet-Bekanntschaft angetan. Dermaßen charmant, klug und selbstbewusst hatte er ein Mädchen ihres Alters nicht erwartet. Und weil Haley noch dazu keinerlei Angst und Scheu zu haben scheint, befindet man sich schon kurze Zeit später auf dem Weg zu Jeffs schniekem Luxus-Appartment. Viel Überredungskunst hat es dafür nicht gebraucht. Ein T-Shirt als Geschenk, ein silber-grauer Mini-Cooper als fahrbarer Untersatz und die Aussicht auf einen MP3-Mitschnitt eines Goldfrapp-Konzertes. Vor Ort findet das Spielchen seine Fortsetzung. Man sieht sich Jeffs Arbeiten an und schlürft dazwischen an dem ein oder anderen Cocktail. Die Hemmungen beginnen zu fallen. Vor allem bei Hayley, die nicht nur hervorragend hochprozentige Drinks mixen kann, sondern sich auch schon bald für erotische Aufnahmen anbietet. Wogegen Jeff wohl kaum etwas einzuwenden gehabt hätte, wäre es ihm nicht plötzlich schwarz vor den Augen geworden.

Was folgt, ist Jeffs ganz persönlicher Alptraum. Als er aufwacht, findet er sich an einem Stuhl gefesselt wieder. Ihm gegenüber Hayley. Keine Spur mehr von dem naiven, sexuell aufgeschlossenen Girlie. Stattdessen präsentiert sie sich als berechnender, unerbitterlicher Racheengel, der Jeff das Verschwinden eines gleichaltrigen Mädchens aus der Umgebung anlastet. Nicht genug damit, bezeichnet sie ihn auch noch als pädophilen Triebtäter. Der Beschuldigte streitet dies alles vehement ab. Was ihm jedoch herzlich wenig hilft. Denn Hayley ist sich ihrer Sache zu 100 Prozent sicher. Warum, weiß man nicht. Genau so wenig, ob sie mit ihren Anschuldigungen überhaupt richtig liegt. Was nichts daran ändert, dass man sich als Zuschauer von nun an einem durch und durch perfiden, emotional extrem aufwühlenden Katz- und Mausspiel ausliefert. Nichtsahnend auf welche Seite man sich stellen soll. Wie auch, scheinen Gut und Böse doch ineinander zu verschwimmen. Wer ist denn nun Opfer? Wer Täter? Ein Szenario, das für unglaubliche Spannung sorgt, einen fesselt, aber auch richtiggehend zum Mitleiden nötigt. Erst recht, wenn Hayley zu jener Foltermethode greift, die wohl jeden Gequälten den Rest des Lebens verfolgen würden. Und all die männlichen Kinobesucher - wenn sie denn überhaupt hinsehen können - die Beine fest übereinander schlagen lässt. Meine Wenigkeit eingeschlossen. Definitiv nichts für schwache Gemüter.

Das in nur 18 Tagen abgedrehte Regie-Debut von David Slade kann man also durchaus als unbequemen Film bezeichnen. Geschichte, Thematik, dazu der oftmals nicht bloß angedeutete Sadismus und die bis zum Ende vorherrschende Ungewissheit. Passend dazu die stilistische Umsetzung mit unruhigen Kamerafahrten, schnellen Schnitten und jeder Menge Nahaufnahmen. Das Bemerkenswerte daran: Zu alldem benötigte man - bis auf ganz wenige Ausnahmen - nur eine Wohnung und zwei Schauspieler. Eigentlich wie gemacht für ein Theaterstück. Erst recht bei solch einer eindrucksvollen schauspielerischen Leistung wie sie Patrick Wilson - von charismatisch bis panisch - und Ellen Page - von verschlagen bis psychopathisch - abliefern. Soetwas geht unter die Haut. Soetwas schafft es zum Nachdenken anzuregen, polarisiert aber auch dermaßen, dass das Publikum in zwei Lager gespalten wird. Für die Einen genial, für die Anderen einfach nur krank. Was sicher ist: "Hard Candy" ist provokant und extrem. Hart an der Grenze. Das gefällt einem. Oder eben nicht. Ich gehöre zu Ersteren. Wenn ich doch auch zugeben muss, dass mir der einmalige Genuss dieses packenden Selbstjustiz-Schockers vollkommen ausreicht. "Not the easiest film to watch..."

Hard CandyHard Candy
Regie: David Slade.
Mit Patrick Wilson, Ellen Page.
01.09.2006


[hardcandymovie.com]