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Alles Humbug. Der Titelsong von "The Warning" lügt. Nix da Knochenbrechen. Stattdessen ein klassisches Wohlfühl-Album. Mit jeder Menge Hits. Aber auch dem gewissen Etwas.

Hot ChipIn den letzten Wochen und Monaten gab es kaum ein Musikmedium, dass sich von Hot Chip nicht begeistert zeigte. Die Fachpresse überschlug sich. Allerorts Lobeshymnen für "The Warning", dem zweiten Album der Elektro-Indie-Popper aus dem Süd-Westen Londons. Der NME kürte Hot Chip sogar zur "Coolest Band around at the moment". Wobei man sie sogar mit den altehrwürdigen und in der Regel unantastbaren New Order verglich: "There's the same mix of art school-meets-working man demeanour, an unabashed acknowledgement of the debt popular music owes to clubland and a wry lyrical conceit." [Review] Im deutschsprachigen Raum ging man zwar nicht ganz so weit, zeigte sich aber keinesfalls weniger euphorisch. Entsprechend der (hoffentlich) anstehenden Hitzeperiode machte man Hot Chip dort zur "Sensation des Sommers". Und dass solch ein Update von "80er-Discokugel-Pop, frei nach Prince und Depeche Mode-Maschinenpop", als welches "The Warning" - wenn auch mit anderen Umschreibungen - allerorts gehypt wurde, bei einem vermeintlichen Trend-Magazin wie der Spex für wahre Begeisterungsstürme sorgen muss, ist so sicher wie nur was. Platte des Monats. Die Steigerung folgt bei der Jahresabrechnung.

Bei solch einem Übermaß an Lob von Kritikerseite ist Vorsicht angesagt. Gibt es bei den allerorts hochgejubelten Konsens-Bands doch meist einen Haken. Und wenn nicht, dann ist da zumindestens die Gewissheit, dass die Medienpräsenz der auserwählten "Opfer" irgendwann tierisch nervt. Beispiele dafür gibt es viele. Ausnahmen nur wenige. Doch siehe da: Hot Chip beweisen mit "The Warning", dass sie durchaus das Zeug haben in letztere Kategorie zu rutschen. Zugeben: Auch ich hatte anfangs meine Bedenken. Vor allem wegen ihrem Debut-Album. Es war nicht bloß, dass ich "Coming On Strong" vor zwei Jahren mit zuwenig Aufmerksamkeit bestraft hätte, nein, diese Platte hat bei mir erst gar nicht stattgefunden. Wodurch mir Hot Chip vor gar nicht allzu langer Zeit noch gänzlich unbekannt waren. Nie gehört. Geändert hat sich das erst mit "Over And Over", der Vorab-Single zu Album Nummer Zwei. Wobei sich meine Begeisterung anfangs noch in Grenzen hielt. Zu sehr Party. Zu sehr Dancefloor. Nun ja, schlussendlich sollte "Over And Over" nicht bloß zum unverzichtbaren Kracher auf sämtlichen Tanzflächen der aktuellen Club-Szene werden, sondern auch mit meiner Wenigkeit einen überzeugten Tanzmuffel mit dem Mitzuck-Virus infizieren.

Es sollte allerdings noch besser kommen. In Form der Nachfolge-Single "Boy From School". Soetwas wie das "Around The World" (Daft Punk) oder auch "Music Sounds Better With You" (Stardust) des Jahres. Lupenreiner Elektro-Pop. Aufgrund seines zärtlichen Gesangs aber auch irgendwie Herz-Schmerz-Ballade. Eine Mischung, die unweigerlich an die Pet Shop Boys erinnert. Nicht "Go West". Vielmehr "Being Boring". Und das nicht bloß bei "Boy From School", sondern auch beim Rest der Platte. Was "The Warning" als astreines Pop-Album abstempelt. Ist es auch. Wenn auch ein äußerst eigenwilliges. Und vor allem clever konstruiertes. Mit unzähligen Details und komplexen Songstrukturen. Zauberhaft vertrackte Popmusik, die sich aber auch mal in Richtung Disco und Soul wagt. Ohne dabei den Zuhörer allerdings vor den Kopf zu stoßen. Wenn schon stilistische Ausflüge, dann laufen diese betont dezent ab. Stets im Rahmen einer gewissen Intimität. Was vor allem auf den samtweichen Gesang der beiden Stimmen (und Köpfe) von Hot Chip zurückzuführen ist. Einerseits die androgyn-hohe Stimme von Alexis Taylor. Andererseits das maskulin-tiefe Organ von Joe Goddard. Perfektioniert durch ein federleichtes Zusammenspiel aus Beidem. Es ist fast so als schwebe man auf einer Wolke. Gefühlvoller und wärmer elektronische Musik nie klang. Ich zeige mich betört.

Hot Chip: The WarningHot Chip
The Warning
22.05.2006


[hotchip.co.uk]