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"Middlesex" ist sein Lieblingsbuch. Das darin behandelte Thema sein Schicksal. Ob Alex Jürgen denn nun normal oder anders ist? Der Betroffene dazu: "Nein, ich bin dazwischen."

"Alex ist intersexuell. Ein Zwitter. Ein Mensch, der die penible Einteilung der Welt in männlich und weiblich durcheinander wirft." Soweit ein Auszug aus dem Pressetext zu "Tintenfischalarm". Die Dokumentation von der FM4-Moderatorin und Regisseurin Elisabeth Scharang behandelt ein zweifelsohne heikles Thema, mit dem sich die Meisten von uns bislang wohl bestenfalls am Rande beschäftigt hatten. Dabei ist Intersexualität gar nicht mal so selten wie man vielleicht annimmt. Laut Statistik kommt jedes zweitausendste Baby ohne eindeutiges äußeres Geschlecht auf die Welt. In Österreich sind es etwa 25 Kinder pro Jahr. Obwohl die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, stellt sich für die Eltern einzig die Frage: Mädchen oder Junge? Eine Entscheidung, die den "Verantwortlichen" oftmals gar nicht mal so schwer fällt, obwohl nur in den seltensten Fällen medizinische Notwendigkeit vorliegt. Die Folgen können verheerend sein. Denn was ist, wenn sich die Eltern und Ärzte falsch entschieden haben und das zurecht "gebastelte" Geschlecht das Falsche ist?

Alex Jürgen - Elisabeth Scharang"Tintenfischalarm" erzählt die Geschichte von Alex Jürgen. Schon in jungen Jahren wurden ihm der kleingewachsene Penis und die innenliegenden Hoden amputiert und eine Scheidenplastik eingesetzt. Und das, obwohl er weder Eierstöcke noch Gebärmutter hat. Alles auf Anraten der Ärzte und weil die Eltern doch schon immer so gern ein Mäderl haben wollten. Also wurde Alex in diesem kleinen Dorf in Oberösterreich als Mädchen erzogen. Zugefügte Hormone ließen ihr Brüste wachsen. Was ausblieb, war die Pubertät. Es folgte eine schwere Identitätskrise. Nach Jahren der Selbstzerstörung dann die Begegnung mit Elisabeth Scharang. Zuerst per Telefon, als Alex im Herbst 2002 bei der FM4-Sendung Jugendzimmer anrief. Wenig später dann die Einladung zur wöchentlichen Radiosendung. "On Air" erzählte die inzwischen 26-jährige von ihrem Schicksal und thematisierte in aller Öffentlichkeit ein vermeintliches Tabuthema. Die Resonanz war beeindruckend, die Idee zu einem gemeinsamen Filmprojekt geboren. In der darauffolgenden Zeit entwickelte sich zwischen Alex und Elisabeth eine intensive Beziehung. Trotzdem - oder vielleicht auch deshalb - sollte es mehr als dreieinhalb Jahre bis zur Fertigstellung von "Tintenfischalarm" dauern. Was der merkwürdige Filmtitel zu bedeuten hat? Genauso nannte Alex "die stressigen Situationen, in denen sie als 14-jährige die forschenden Hände der Burschen, die sich zwischen ihre Schenkel drängen wollten, abzuwehren versuchte."

Die schöne Untermalungsmusik stammt übrigens von Garish. Zugegeben: Ohne die von mir hochgeschätzte, burgenländische Band hätte es in meinem Fall wohl kein "Tintenfischalarm" geben. Denn erst die Tatsache, dass Garish den Soundtrack dazu beisteuerten, machte die Dokumentation für mich interessant. Ob ich den Kinobesuch bereut habe? Keinesfalls. Im Gegenteil. Auch wenn meine Erwartungen zuerst in eine andere Richtung gegangen sind. "Tintenfischalarm" ist keine alles durchleuchtende Aufklärung zum Thema Intersexualität. An manchen Stellen des Films hatte ich mir als unbestritten Ahnungsloser etwas tiefergehende Infos erwartet. Doch die muss ich mir wohl woanders besorgen. Denn bei "Tintenfischalarm" geht es eher in eine andere Richtung. Nämlich in jene eines einfühlsamen Porträts über einen Menschen, der mit seiner makaber witzigen Art und mit ungeheurem Kampfgeist gegen die Zwänge der Gesellschaft ankämpft. Das Beste daran? Alex Jürgen hat während der Entstehung des Films zu sich selbst gefunden. Nachdem er auf diversen Reisen andere intersexuelle Menschen kennengelernt hat, entschloss sich Alex dazu seine Brüste entfernen zu lassen und ein Leben als Mann zu beginnen. Eine Geschichte, die bewegt. Eine Persönlichkeit, die beeindruckt. Nach den 107 Minuten dieser Doku ist man soweit, Alex Jürgen alles zuzutrauen. Aber auch wirklich alles. "Tintenfischalarm" ist definitiv ein Film, den man gesehen haben sollte.

[Middlesex - Jeffrey Eugenides]

TintenfischalarmTintenfischalarm
Regie: Elisabeth Scharang.
Dokumentation.
07.04.2006


[tintenfischalarm.at]
srocca - 9. Apr, 19:54:
Hermaphrodit
Ein schönes Wort für ein wahrscheinlich problematisches Leben. Tintenfischalarm ist ein wirklich interessanter Film. Im Gegensatz zu Middlesex aus dem wirklichen Leben, dadurch umso berührender.

P.S.: Danke für den Link. 
wasix - 14. Apr, 11:01:
middlesex
kenne das buch nicht. konnte mich bei der erwähnung im film allerdings daran erinnern, dass du mal darüber geschrieben hast. da ist ein link doch wohl das mindeste... ;-)