header
 
"Das ist keine Hochkulturveranstaltung!" rief Jochen Distelmeyer. Recht hatte er. Blumfeld boten im Wiener Radiokulturhaus ein stinknormales Pop-Konzert. Ein überraschend gutes noch dazu.

Da mag man eine Band. Zugegeben: Früher mehr als heute. Aber immerhin, man besitzt auch heute noch alle ihre Platten. Sogar die Neue. Eine gewisse Verbundenheit ist also nicht zu leugnen. Trotzdem hat man diese Band, deren erste Single nun schon 15 Jahre zurück liegt, noch nie live gesehen. Im Nachhinein betrachtet, fällt mir dafür keine hieb- und stichfeste Begründung ein. An zu wenigen Möglichkeiten hat es mit Sicherheit nicht gelegen. So groß ist der deutschsprachige Raum nun auch wieder nicht, dass eine Hamburger Formation auf ihren Konzertreisen das gute, alte Wien einfach links liegen lassen kann. Der Grund für die verpassten Gelegenheiten ist wohl eher auf meine in den letzten Jahren merklich nachlassende Begeisterung für die Band zurückzuführen. Die Entwicklung hin zum teilweise doch etwas seichten Schlagertum war mir das ein oder andere Mal dann doch zu viel. Nichtsdestotrotz ein bemerkenswerter Wandel, den man hinter sich gebracht hat. Dass diese als etwas oberg'scheit verschrieene Band ihre nicht gerade leicht zugängliche, sehr nahe am Protestsong angesiedelte Musik der ersten beiden Platten danach verstärkt gegen scheinbar harmlos-etablierten Pop eintauschte, sorgte von Veröffentlichung zu Veröffentlichung für immer mehr ratlose Fans. Der Höhepunkt dessen das neue Album. Mit merkwürdigen Texten über Tiere und Pflanzen. Man zelebriert Naturlyrik. Für die Einen ein gewagter Versuch, für die Anderen die Peinlichkeit auf Platte. Wie auch immer. Selten zuvor wurde ein Album aus deutschen Landen dermaßen kontrovers diskutiert. Selten zuvor hat die Platte einer Band, die man immer noch gerne der Indie-Fraktion zuordnet, dermaßen schamlos polarisiert. Warum auch nicht. Wenn er es doch so gerne zirpen lässt, der Jochen.

Jochen DistelmeyerJustament bei der Tour zum vielleicht banalsten, mit Sicherheit aber umstrittensten Album dieser Band, kam es also doch noch dazu: Mein erstes Blumfeld-Konzert. Die Folge eines Gewinnspiels, wo 47 Früchtchen im Glas erraten werden sollten, mein um zwei daneben gelegener Tipp aber reichte, um unter den Auserwählten zu sein, die der FM4-Radio-Session im Radiokulturhaus beiwohnen durften. Die einmalige Chance die Band mal aus nächster Nähe bei ihrer Arbeit beobachten zu können. Vom erwarteten Akustik-Auftritt zwar keine Spur, wirklich enttäuscht darüber konnte man jedoch nicht sein. Denn Blumfeld waren verdammt nahe dran mal wieder richtig loszurocken. Von wegen Softies. Da wurden die Verstärker ganz weit aufgedreht. Und Jochen Distelmeyer mag zwar abseits seiner bestechenden Sangesdarbietung nicht gerade der Kommunikativste sein, eines stellte der anfangs doch merklich nervöse Frontmann - seine immer selben, durchwegs knappen Danksagungen zwischen den Songs wurden zum Running Gag - mit Fortdauer des Abend nachdrücklich unter Beweis: Spucken kann er, die verkappte Rocksau. Viel hat nicht gefehlt und die Herrschaften in der ersten Sitzreihe hätten eine Portion davon abbekommen. Nur gut, dass es schlussendlich dann doch nur die schicken Teppiche auf der Bühne erwischt hat.

Blumfeld präsentierten sich an diesem Abend als Band mit großer Spiellaune. Was noch verhalten begann, kam mit jedem Song mehr ins Laufen. Es war aber auch eine wirklich gelungene Setlist, die man zu Ohren bekam. So eine Art Querschnitt aus allen Phasen des Blumfeld'schen Werkes. Eine Mischung aus Alt und Neu, wobei man die ganz stillen Momente von "Verbotene Früchte" wegließ. Eine weise Entscheidung. Ebenso wie gerade auf das groovende und von der Band mit einem breiten Grinsen im Gesicht zum Besten gegebene "Der Apfelmann" nicht zu verzichten. Ein Gute-Laune-Song. Bei Blumfeld. Wie sich die Zeiten doch geändert haben. Meine erste Begegnung mit Blumfeld stand trotzdem auf dem Programm: "Verstärker". Zweifelsohne ein großer - wenn auch etwas kitschiger - Moment, als aus dessen abklingenden Feedbackkrach plötzlich Distelmeyer "Everytime We Say Goodbye" von Cole Porter anstimmt. Eigentlich der perfekte Schlusspunkt. Doch die Menge wollte mehr. Und bekam es auch. Insgesamt 100 Minuten, inklusive zwei Zugabeblöcken. Bei Letzterem gab Jochen Distelmeyer dann doch noch den schmachtenden Barden. Musste wohl sein.

Einen Mitschnitt dieses Konzertes gibt es übrigens am Donnerstag, den 24. August auf FM4 in der Homebase (19-22 Uhr) nachzuhören.

Blumfeld
15.08.2006 - Wien, Radiokulturhaus.


[blumfeld.de]