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"Dig!" ist die grandiose Doku über zwei befreundete Bands mit unterschiedlichen Haltungen. Anpassung führt zum Erfolg, Verweigerung zur Selbstzerstörung. Realität im Musikbusiness?

Anton Newcombe ist Weirdo und Tyrann in einer Person. Gleichzeitig ist er aber auch schwer talentierter Musiker und hyperproduktiver Songschreiber. Wenn solch ein zwischen Größenwahnsinn und Genie wandelnder Querdenker auch noch Leader einer Band ist, dann kann man sich ausmalen, dass soetwas nicht ohne Kontroversen abläuft. Die Geschichte des Brian Jonestown Massacre ist gekennzeichnet von unzähligen Ups und Downs. Plattenfirmenleute zeigten sich von ihrem psychedelischen Rocksound - "So Retro And So Future" - begeistert, priesen die Band in den Neunzigern als "The Next Big Thing" an, schafften es dabei aber nie die Musik des BJM einem breiteren Publikum näherzubringen. Grund dafür war die Person Anton Newcombe. Der Mann besitzt nämlich das traurige Talent, seine Karrierechancen selbst zu zerstören. Sei es durch Drogenmissbrauch oder Gewaltexzesse, die auch vor den eigenen Bandmitgliedern nicht halt machten. Sogar in aller Öffentlichkeit. Da kam es schon mal vor, dass sich die Band justament auf der Bühne prügelte, als im Publikum jene Leute standen, die ihnen einen lukrativen Plattenvertrag anbieten wollten. Kein Wunder, dass Newcombe allein in den Neunzigern an die 40 Begleitmusiker verbrauchte. Auch ein gewisser Peter Hayes - heute beim Black Rebel Motorcycle Club - gehörte mal seiner Band an. Die Folge all des chaotischen Treibens: Das BJM konnte seinem Nischenstatus nie entweichen. Newcombe war zwar der selbsternannte "Anführer einer musikalischen Revolution", blieb aber - trotz unzähliger Independent-Veröffentlichungen - weitgehend ein unbeachteter Künstler.

Dig!Von all dem erzählt "Dig!". Und noch viel mehr. Sieben Jahre verfolgte Regisseurin Ondi Timoner nämlich nicht nur den Werdegang des BJM, sondern war auch dabei als Newcombes bester Freund mit dessen Band zum umjubelten Megaseller wurde. Die Rede ist von Courtney Taylor-Taylor und den Dandy Warhols. Gemeinsam waren sie auf Tour. Gemeinsam wollten sie das Musikbusiness verändert. Für die DW endete die Revolution allerdings recht bald bei einem Major-Label. Aus der anfänglichen Verweigerungshaltung wurde ein 400.000 Dollar-Video zu "Not If You Were The Last Junkie On Earth". In Szene gesetzt von Starfotograf David LaChapelle. War es Verarsche oder doch bloß Neid, die Reaktion von Newcombe ließ jedenfalls nicht lange auf sich warten. Und zwar in Form einer Parodie mit dem eindeutigen Titel "Not If You Were The Last Dandy On Earth". Als Newcombe seinem Kumpel Courtney den Song erstmals vorspielte, lächelte dieser. Es war eindeutig ein gequältes Lächeln.

Mehr als 1500 Stunden Material sollte Ondi Timoner ansammeln. Daraus geworden ist eine 107 Minuten lange und äußerst unterhaltsame Doku. Inklusive Voice-Over von Courtney Taylor-Taylor, der den Großteil der Geschichte kommentiert. Die Hassliebe zwischen ihm und Anton Newcombe. Die vollkommen unterschiedliche Entwicklung ihrer Bands. Und den damit verbundenen Erfolg bzw. Misserfolg. Alles mit Handkamera gefilmt, schnell geschnitten, mit unzähligen Interview-Fetzen und viel Musik. Eine perfekt inszenierte Reality-Show in Sachen Rock & Roll-Lifestyle, die beim Sundance 2004 von der Jury als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde und Ende letzten Jahres nun auch als DVD (UK-Import) erschien. Was aus den Protagonisten von "Dig!" wurde? Die DW haben sich spätestens mit dem Vodafone-Werbesong "Bohemian Like You" etabliert. Ihr letztes Album "Odditorium Or Warlords Of Mars" blieb zwar hinter den Erwartungen zurück, trotzdem sorgten sie - zumindestens hier in Europa - weiterhin für volle Konzertsäle [>]. Und Anton Newcombe? Der hat überlebt. Das ist in seinem Fall schon mal etwas. Inzwischen hat er so in etwa seine 20. Platte herausgebracht und tourt noch immer quer durch die amerikanische Provinz. Wer nach dem Konsum dieser Doku mehr von seiner Musik hören möchte, dem sei "Tepid Peppermint Wonderland" nahegelegt, eine BJM-Retrospektive auf zwei CD's. Von "Dig!" zeigt sich Newcombe übrigens enttäuscht. Ausführlichst nachzulesen an dieser Stelle. Sein Verhältnis zu Ondi Timoner ist seitdem nachhaltig gestört.

[Interview mit Ondi Timoner]

Dig!Dig!
Regie: Ondi Timoner.
Dokumentation.
DVD (OF)


[digthemovie.com]