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Endlich. Nach mehr als fünfeinhalb Jahren veröffentlichen Nine Inch Nails ein neues Album. Eine schwere Geburt soll "With Teeth" gewesen sein. Nur soviel: Ich habe mitgelitten.

Trent ReznorIch bin Fan. Das ist an dieser Stelle kaum zu übersehen. Was allerdings mit sich bringt, dass bereits eine scheinbar stinknormale Plattenkritik zum Gewissenskonflikt führt. Einerseits, weil man nach all der Warterei die Ansprüche höher ansetzt und folgedessen enttäuscht werden könnte. Andererseits, weil man aufgrund einer dermaßen seltenen Gelegenheit dazu neigt das Vorliegende in den Himmel zu loben. Deshalb höre ich das neue Album nun schon seit zwei Wochen und hüte mich seitdem davor voreilig in die Tastatur getippte Worte auf dieser Seite zu veröffentlichen. Was mich rückblickend allerdings überrascht, ist die Tatsache, dass im Laufe dieser gut 14 Tage das anfängliche Einerseits immer mehr zum Andererseits wurde. Die zu erwartende Euphorie wurde nach den ersten Durchläufen sehr schnell wieder auf ein normales Level zurückgeschraubt, entwickelte sich mit Fortdauer aber immer mehr zurück zur Ausgangsposition. Was soviel zu bedeuten hat, dass es nun endlich Zeit wird, dass ich zu dem Thema meinen Senf dazutue. Was folgen sollte, ist ein einigermaßen objektives Review zu "With Teeth". Wer mich allerdings kennt oder meine Einstellung zu NIN im Laufe der Zeit durch diese Rubrik kennengelernt hat, der kann sich schon denken, dass soetwas eigentlich gar nicht möglich ist.

Die Platte zur Selbsttherapie.

Trent Reznor muss für seine Kunst leiden. Das war schon immer so, wird wohl auch immer so sein. Die Entstehungsgeschichte von "With Teeth" macht da keine Ausnahme. In unzähligen Interviews gab es in den letzten Tagen und Wochen bereits ausreichend davon zu erfahren. Von seiner Drogensucht, dem Tod eines Freundes, kreativen Black-Outs, Problemen mit dem langjährigen Manager. Und so weiter. Nicht wirklich überraschend, dass Reznor den Entstehungsprozess von "With Teeth" mit einer therapeutische Sitzung vergleicht. Das Erzählen von Problemen mit dem eigenen Ich gehören bei der Promo-Arbeit zu einem neuen NIN-Werk einfach dazu. Man stelle sich nur mal vor, Trent Reznor hätte nichts zu beklagen, es würde ihm so richtig gut gehen und man müsste das alles dann auch noch auf Platte ertragen. NIN und heile Welt? Unvorstellbar.

Die Texte auf "With Teeth" fielen dementsprechend düster aus und handeln von Sucht und Sehnsucht, Rückfällen und Selbstzweifel. Eine Weltanschauung, die so manchen Nicht-Fan immer noch zum Kopfschütteln veranlasst. Dabei sind Vergleiche mit bedeutungsschwangeren Inhalten aus einschlägigen Internet-Foren gar nicht mal unangebracht, dermaßen plakativ erscheinen einem Reznors depressive Wortspielereien. Nicht immer. Aber auch nicht wesentlich weniger als man es bislang von ihm gewohnt war. Die Fangemeinde wird jedenfalls begeistert sein. Endlich wieder ein Stück Musik, bei dem es sich zu leiden lohnt. Inklusive jeder Menge Selbstmitleid. Das gehört bei NIN einfach dazu. Punkt.

Zwischen Kommerz und Experiment.

Vor einem Jahr war auf der offiziellen Website von NIN noch zu entnehmen, dass man beim vierten Studioalbum - damals noch "Bleedthrough" - mit einem brutalen und minimalen Werk zu rechnen habe. Schwer nachzuvollziehen, hat man sich die 56 Minuten von "With Teeth" erst mal zu Gemüte geführt. Trent Reznor scheint es sich mit der angekündigten Grobheit wieder überlegt zu haben. Denn "With Teeth" fängt mit einer Symbiose aus dezentem Drum & Bass und Gospel ("All The Love In The World") ruhig an und hört mit einer bewegenden Klavierballade ("Right Where It Belongs") ebenso ruhig auf. Natürlich wird man dazwischen mit einer für NIN typischen Berg- und Talfahrt der Emotionen konfrontiert, die sich gekonnt auf elektronischen Rock und abgefahrene Sounds stützt. Beispiele dafür gibt es ausreichend: Das supereingängige "The Hand That Feeds", das man durchaus als radiotauglicheres Selbstzitat von "Head Like A Hole" durchgehen lassen kann. Genauso wie das hymnische "Every Day Is Exactly The Same" mit seinem breitflächigen Synthie-Pop. Oder "The Line Begins To Blur" mit frontal abgemischtem Drumsound und zutiefst melancholischem Refrain. Alles großes Songwriting. Wütende Härteattacken sind dabei die Ausnahme. Richtig fiese Rockbiester findet man nur in "You Know Who You Are?" und "Getting Smaller". Beide allerdings eher weniger aufregende Tracks, wo der Reiz vielmehr darin liegt, dass darauf niemand geringerer als der zur Zeit wohl begehrteste Gastschlagzeuger des Rock zu hören ist. Wenn Träume wahr werden: Dave Grohl trommelt für NIN.

Trent ReznorAuch wenn sich "With Teeth" wesentlich songorientierter präsentiert als "The Downward Spiral" und "The Fragile", so braucht man keinesfalls die Befürchtung haben, ein Album voll mit Mitgröl-Nummern im klassischen Pop-Format mit dem herkömmlichen Wechsel zwischen Strophe und Refrain vorgesetzt zu bekommen. "With Teeth" mag zwar das zu- und eingängigste NIN-Album seit "Pretty Hate Machine" sein, im Vergleich zur Konkurrenz aber immer noch von höchster Qualität. Denn Trent Reznor liebt musikalische Experimente und kann auch bei "With Teeth" nicht die Finger davon lassen. Und das ist gut so. Denn es waren stets die eher gewagten und ungewöhnlichen Tracks, die den Reiz eines NIN-Albums ausmachten. Und "With Teeth" hat in dieser Hinsicht einiges zu bieten: Der sphärisch düstere Titelsong, wo Trent Reznor gekonnt mit Hip Hop-Anleihen liebäugelt. Oder das retrobeladene "Only", ein verspieltes Stück Achtziger-Jahre-Pop irgendwo zwischen Gary Numan und Human League. Nicht zu vergessen das famose "Beside You In Time" mit seinem ambienten Geblubber und der in sich auflösenden Rhythmik. So stellt man sich im Idealfall den musikalischen Output aus Reznors Klanglabor vor. Spannend und angenehm anders zugleich.

Hail To The Thief.

Trent Reznor ist ein gutes Album gelungen. Sogar ein sehr gutes. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten. Allerdings muss man sich damit abfinden, dass es bei "With Teeth" erstmals in der Album-Diskographie von NIN nur wenig Neues zu hören gibt. Anders als bei den Vorgängern gibt es kein durchgehendes Konzept, in das man sich als Zuhörer fallen lassen muss bzw. darf, sondern 13 eigenständige Songs, die auch abseits des Kontext für sich allein stehen. Das ist durchaus vergleichbar mit dem letzten Radiohead-Album, stellt man es neben das fulminante Doppelpack "Kid A"/"Amnesiac". Demnach ist "With Teeth" also soetwas wie das "Hail To The Thief" von Trent Reznor. Ein Vergleich, der übrigens nicht auf meinem Mist gewachsen ist, sondern von einem Freund stammt. Und er darf so eine vage Behauptung aufstellen. Ist er doch mehr Radiohead- als NIN-Fan. Im Gegensatz zu mir.

[Live: Arena (Open Air), Wien - 14.06.2005]

Nine Inch Nails: With TeethNine Inch Nails
With Teeth
02.05.2005


[nin.com]
analog_at - 10. Mai, 09:18:
trent setzt den trend
he is back und wie!!! auch wenn das neue nin album sehr poppig klingt setzt es neue maßstäbe im bereich electro-industrial.
freue mich schon auf das wien konzert. erwarte mir so ein mega-konzert wie 1994 am selben ort. trent ich warte............ 
wasix - 10. Mai, 18:02:
memories
schön von dir an dieser stelle zu lesen. endlich. einen besseren anlass als das neue nin-album hättest du dir ohnehin nicht aussuchen können. ist dir aufgefallen, dass das [mega-konzert] fast genau elf jahre zurück liegt. war damals auch im juni. am elften. jede menge elfer. noch dazu "my magic number". was kann da noch schief gehen... ;-)