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Schräger Pop als Konzept grenzenloser Stilsymbiose... zehn Jahre danach.

Mansun: Stove King (Bass) - Paul Draper (Vocals, Guitar) - Dominic Chad (Guitar) - Andie Rathbone (Drums).

Vier Musiker ohne festgelegte Stilrichtung oder Image. Mansun waren die am schwersten bestimmbaren Pop-Chamäleons ihrer Zeit, zelebrierten in den späten Neunzigern soetwas wie die Antihaltung zur Brit-Pop-Bewegung. Es war unmöglich ihre Musik klar zu definieren. Mansun taten einfach, was sie wollten. Da wurde vor nichts haltgemacht. So war ihr 1997er-Debutalbum "Attack Of The Grey Lantern" geprägt von eigensinnigen Elektronik- und Streicher-Einflüssen im Rahmen einer epischen Produktion im Stil des Achtziger-Jahre-Pop. Da bekam man Tears For Fears ohne Banalität, Police ohne immergleiche Bassläufe und The Cure ohne schleppende Düsterkeit zu Ohren. Und das mit all der Effekthascherei, die in den Neunzigern so verpönt war. Mansun verfolgte der Status einer überdrehten, vergangenheitsbezogenen Pop-Band. Was falsch war, sie aber trotzdem zu Außenseitern inmitten des Zeitgeist der damaligen Musikszene machte. In Wahrheit gehörten Mansun nämlich zu jenem bescheidenen Rest von Visionären, die es sich zum Ziel gemacht hatten, alle festgesetzten Regeln der Pop-Musik zu hinterfragen.

Anders konnte man das Streben eines 70 Minuten langen Opus, das klassische Ästhetik mit vagen Rock-Experimenten verbindet, wohl kaum beschreiben. Mit ihrem zweiten Album ließen Mansun endgültig sämtliche Strukturenzwänge hinter sich und ihrem kreativen Übermut freien Lauf. Wer auf "Six" herkömmliche Songmuster sucht, tut dies vergeblich. Dieses Album klingt wie ein endloser Jam. Durch- oder überschaubar ist hier gar nichts. Der Großteil der Stücke besteht aus mehreren, grundverschiedenen Kompositionen, die durch wüste Tempowechsel zu einem komplexen Gesamten verbunden sind. Da kann es schon vorkommen, dass binnen kürzester Zeit Pianoläufe auf Gitarrensolos und Operngesang treffen um schlussendlich mit atmosphärischen Instrumentalpassagen nahtlos in den nächsten Song überzuleiten. Alles auf diesem Album scheint maßlos übertrieben. Einzelne Tracks hervorzuheben ist sinnlos. Ein einziges Stück auf "Six" hat mehr Melodiebögen und Gitarrenparts aufzuweisen, als bei anderen Bands ein ganzes Album. Kurz: Das gewagteste, mutigste, erschreckendste, sanfteste, konfuseste, ambitionierteste Stück Musik, das man sich im Spektrum der Gitarrenwelt im Jahr 1998 vorstellen konnte.

Eigentlich hätte "Six" der Richtungsweiser für alle britischen Bands, die im darauffolgenden Jahr ein Album veröffentlichten, sein müssen, nahm es doch für 1998 in etwa jenen Stellenwert ein, den das Jahr davor "OK Computer" hatte. Letzteres mag zwar das bessere Album sein, "Six" ist hingegen mit Sicherheit das kontroversere. Eigentlich hätten sie alle dieses versponnene, in drei Teile gespaltene Konzeptalbum mit seinen Prog-Rock-Tendenzen und wirren Soundeinflüssen aus den Achzigern ganz genau anhören müssen. Taten sie aber nicht. Und so avancierte "Six" zu dem, wofür es mit seinem Übermaß an Ideen vorbestimmt war: Dem kommerziellen Selbstmord von Mansun. Verwirrt? Jedem, der "Six" zum ersten Mal zu Ohren bekam, ergeht es so. Genügend Leute haben dieses Album bereits nach dem ersten Durchlauf entnervt zur Seite gelegt. Wer jedoch Geduld zeigt, der könnte ein wahres Wunder erleben, vielleicht sogar das Album finden, auf das er/sie schon immer gewartet hat. Mir erging es anno dazumal jedenfalls so.

Anhang: Im Mai 2003 gaben Mansun nach acht Jahren Bandgeschichte und drei Alben ihre Trennung bekannt. Auf die erste Solo-Platte des ehemaligen Mansun-Frontmannes Paul Draper wartet man immer noch...

Mansun: SixMansun
Six
07.09.1998


[mansun.co.uk]
[myspace.com/mansunspace] [pauldraper.info/six]
Chreas (Gast) - 11. Sep, 20:19:
DAS Album
Genau wie du es schreibst, nach dem ersten Durchlauf war ich total verwirrt, und das Album verschwand für mehr als ein Jahr irgendwo im Regal. Danach hervorgekramt, nochmals angehört, und dabei erkannt, was es eigentlich ist.

Für mich absolut eines der "besten" Alben. Jedenfalls von den Alben, die ich kenne. Nach so einem Album musste die Band ja zwangsläufig auseinanderfallen ; ). 
wasix - 12. Sep, 16:17:
...und da versuchten sie es beim "six"-nachfolger "little kix" mit vergleichsweise einfach strukturierten songs... und scheiterten. empfehlenswert ist die 3-cd-compilation "kleptomania" inklusive dem nicht mehr veröffentlichten vierten album. obwohl... an "six" kann all das natürlich nicht mal annähernd heranreichen.

l.g.