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Frei von Peinlichkeiten, ist soetwas bei Tocotronic überhaupt möglich? Es ist. Alle haben sie recht, die behaupten, "Kapitulation" sei das bedeutendste Album ihrer Bandgeschichte.

Tocotronic: Arne Zank (Schlagzeug) - Rick McPhail (Gitarre, Keyboard) - Dirk von Lowtzow (Gesang, Gitarre) - Jan Müller (Bass).Erstmals aufgehört habe ich im März, als Produzent Moses Schneider in einem Interview erwähnte, dass uns mit dem neuen Tocotronic-Album ganz Großes erwarten würde. Was man ihm glauben konnte. Oder auch nicht. Immerhin schwärmte der Mann zu dieser Zeit auch in höchsten Tönen von ".limbo messiah". Nun mögen die Beatsteaks zwar die sympathischte Band der Welt sein, wirklich Überzeugendes lieferten sie mit ihrem diesjährigen Album allerdings nicht ab. Was am aufgekommenen Interesse am Nachfolger des ebenso durchschnittlichen "Pure Vernunft darf niemals siegen" keinen Abbruch tat. Erst recht nicht, als Tocotronic mit der Bekanntgabe des Albumtitels eines der schönsten Wörter der deutschen Sprache in aller Munde zurück brachten: "Kapitulation". Passend dazu die Ankündigung des Gegenentwurfs zur Deutschland-Aufbruchstimmung, nämlich "dass die neuen Stücke einen Versuch darstellen, schwaches Denken zu mobilisieren und sich durch das Lob der Vielheit gegen den Mythos des nichtentfremdbaren Selbst und das unersättliche Bedürfnis nach Macht und Kontrolle zu stellen." Bedeutungsschwangeres Marke Dirk von Lowtzow. So mag man das.

Wobei meine Zuneigung zu den Jungs aus der Hamburger Schule in den letzten Jahren doch merklich gelitten hat. Zu ihren Anfangstagen waren Tocotronic für mich die deutschen Sympathieträger schlechthin. Nicht wegen ihres Talents fürs Musikmachen. Vielmehr wegen ihrer dermaßen unverdrossen zum Besten gegebenen Mischung aus Schrulligkeit und Dilettantismus. Die Exaltiertheit in von Lowtzows Texten musste man nicht mögen. Eine gewisse Besonderheit konnte man ihnen aber nicht absprechen. Der einzige wirkliche Angriffspunkt ihres musikalischen Treibens war stets die Tatsache, dass der einstige Dreier in den Neunzigern weit davon entfernt war, sein Instrumentarium zu beherrschen. Ihre frühen Konzerte waren der beste Beweis dafür. Umso bedenklicher, dass Tocotronic für mich immer uninteressanter wurden, je mehr sie ihre Rolle als Musiker ernst nahmen, je stärker sie an sich arbeiteten, um technisch Ausgereifteres auf Tonträger verewigen zu können. Nein, das waren nicht mehr jene Tocotronic, die ich einst schätzen gelernt hatte. Und so wurde in den Nuller-Jahren auch ich einer von denen, der ihren Output gerne mal als "pseudointellektuelle Studentenmucke" bezeichnete. Abgeschrieben waren sie.

Und nun das. Ein großartiges Album. Ihr bestes bisher. Sogar mit Abstand. Tocotronic besinnen sich auf Stärken, die man ihnen gar nicht mehr zugetraut hätte. Denn "Kapitulation" ist ein lupenreiner Gitarren-Pop-Rocker geworden. Geradlinig, fast schon konventionell. In den richtigen Momenten jedoch einfallsreich und verspielt. Dabei aber immer auf den Punkt kommend. Man kann dieses Album auch als überraschend unüberraschend beschreiben. Weil nur selten aggressiv, zumeist eher bedächtig. Hier passt ein Teil zum anderen. Kein Song fällt aus dem Rahmen. Ein Album wie aus einem Guss. Es darf von Tocotronics Alterswerk gesprochen werden. Jedoch keinesfalls von Altherren-Rock. Dafür ist diese Platte mit all seinen wunderschönen Melodien, eigenwilligen Texten und dichten Gitarrenwänden einfach zu gut. Natürlich wird auch dieses Tocotronic-Album polarisieren, werden ganz viele Nebenbeihörer es als zu sanft und mainstreamlastig abtun. Gehört dazu. Ich jedenfalls habe eingesehen, dass jeglicher Widerstand zwecklos ist. Bedingungslose Kapitulation. Die entgültige Unterwerfung. Meinerseits.

Tocotronic: KapitulationTocotronic
Kapitulation
09.07.2007


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