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Die Tochter des großen Serge Gainsbourg betätigt sich 20 Jahre nach ihrem Debut wieder als Sängerin. Mit Hilfe namhafter Musikerkollegen. Papa wäre von "5:55" begeistert gewesen.

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Mama und Papa nehmen eine Single auf. Nicht irgendeine, sondern die ultimative Ficknummer der Musikgeschichte. Etwas gewählter ausgedrückt: Einen in Dialogform den Beischlaf thematisierenden Song. Hauchend und stöhnend. Da hilft es dann auch nichts mehr, wenn man als Kind dieser beiden Protagonisten erst knapp zwei Jahre später das Licht der Erde erblickt. Soetwas holt einen ein. Erst recht, wenn dieser Skandal- und Kultsong allgegenwärtig scheint. Nicht nur zu seiner Zeit, sondern selbst mit inzwischen 37 Jahren auf dem Buckel. Auch heute noch gilt das gute Stück als perfekte Untermalung für so manch schlüpfriges Miteinander. Die Rede ist natürlich von "Je t'aime... moi non plus". Und Charlotte Gainsbourg weiß davon zu berichten. Waren es doch ihre Eltern, die diese legendäre Stöhnorgie in den späten Sechzigern zum Besten gaben. Einerseits Jane Birkin, britische Schauspielerin und Sängerin mit Hang zum Sexsymbol. Andererseits Serge Gainsbourg, französischer Chansonnier, Genie und Provokateur in einer Person. Jener Musiker, der 1971 - im Geburtsjahr seiner Tochter - mit "Histoire de Melody Nelson" eines der ganz großen Konzeptalben der Popmusik veröffentlichte. Aber auch jener Mann, der fünfzehn Jahre später - gezeichnet von seiner Trinksucht - im französischen Fernsehen die blutjunge Whitney Houston anmachte ("I said: I want to fuck her!") und damit für einen seiner unzähligen - in diesem Fall aber äußerst sehenswerten - Skandale sorgte. [Klick!]

Charlotte GainsbourgCharlotte Gainsbourg zählt inzwischen zu den größten französischen Schauspielerinnen dieser Tage. "One of the greatest stars of modern French cinema", in den nächsten Wochen in zwei neuen Streifen - "The Science Of Sleep" und "Lemming" - auch hierzulande im Kino zu bewundern. Dass sich Charlotte Gainsbourg nebenbei immer wieder mal auch als Sängerin betätigte, geht dabei fast unter. So begann ihre gesangliche Karriere bereits im zarten Alter von 13 Jahren. Natürlich unter Anleitung von Herrn Papa. "Lemon Incest" hieß das provokante Duett, inklusive Skandalvideo, wo sich Vater und Tochter halbnackt im Bett wälzen. 1986 erschien ihr erstes und bislang auch letztes Album. "Charlotte For Ever" - auch als "Lemon Incest" bekannt - war eine Kollektion mit Interpretationen verschiedener Stücke ihres berühmten Vaters. Danach gab es noch einige wenige Songs für Soundtracks ihrer Filme und die ein oder andere Kollaboration, z.B. mit Badly Drawn Boy auf dessen "Have You Fed The Fish?". Mehr nicht. Zumindestens bis 2006. 20 Jahre nach ihrem Debut entschloss sich Charlotte Gainsbourg nämlich dazu ein neues Album aufzunehmen. Unterstützt von einer wahrlich beeindruckenden Musikerrunde. Eines gleich vorweg: Bessere Mitstreiter hätte sich die gute Charlotte gar nicht aussuchen können.

"Lyrics by Jarvis Cocker, Neil Hannon and Air. Music by Air. Produced by Nigel Godrich." Der schwarze Sticker auf der CD-Hülle über dem stilvollen Schwarz-Weiß-Cover verspricht hohe Qualität. Und die bekommt man auch. Hervorstechend dabei der unverkennbare Air-Sound. Eine wunderbar arrangierte Symbiose aus Synthies, Streichern, Akustikgitarren und dezenten Beats. Mit Kompositionen, die man nur schwer aus den Gehörgängen bekommt. Gewohnt nahe am Kitsch, ohne allerdings peinlich zu klingen. Es ist nicht übertrieben, bezeichnet man "5:55" als das beste Album der Herren Godin und Dunckel seit "Moon Safari". Wohl auch deshalb, weil die verträumten Klanglandschaften der französischen Soft-Popper perfekt zu Gainsbourgs Schmusestimme passen. Süßliches Gehauche zum Dahinschmelzen. Wenn auch nicht im zu erwartenden Französisch. Nein, Frau Gainsbourg singt - bis auf eine Ausnahme - englisch. Wodurch der außerordentliche Charme ihrer Performance jedoch keinesfalls geschmälert wird, versteht man die von ihr nahezu geflüsterten Texte doch ohnehin kaum. Und Charme, den kann man "5:55" definitiv nicht absprechen. Wie überhaupt diese Platte einem akustischen Ebenbild der fragilen Erscheinung von Charlotte Gainsbourg gleicht: feinfühlig, scheu, intim. Ein stilles und düsteres Album, das wenn schon nicht zu den allerbesten, dann zumindestens zu den schönsten Veröffentlichungen dieses Jahres gehört.

Charlotte Gainsbourg: 5:55Charlotte Gainsbourg
5:55
11.09.2006


[charlottegainsbourg.net]
[myspace.com/charlottegainsbourg]