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"The Eraser" ist weder Radiohead- noch Solo-Album. Was es ist? Intim und fragil. Manisch und verzweifelt. Voll mit atmosphärischen Sounds und kryptischer Poesie. Eben Thom Yorke.

Thom YorkeEr hat es also tatsächlich getan. Thom Yorke hat ein Solo-Album aufgenommen. Wobei dem Meister diese Bezeichnung für seine erste Platte abseits von Radiohead gar nicht recht ist: "I don't wanna hear that word solo. Doesn't sound right." Wie auch immer. Als die Nachricht des Erscheinens von "The Eraser" knapp zwei Monate vor dem offiziellen Release-Date die Runde machte, gab es seitens der Gerüchteküche kein Halten mehr. Alle mutmaßten sie, wie Yorke ohne seine Band - immerhin soetwas wie die Alternative-Institution der letzten Jahre - klingen würde. Einerseits rechneten viele mit einem noch experimentelleren Album, als es "Kid A" und "Amnesiac" ohnehin bereits waren. Mit noch mehr elektronischem Gefrickel und -blubber. Womöglich sogar ohne Gesang. Andererseits erhofften sich die Alteingesessensten der Radiohead-Gemeinde eine Platte, die Yorkes Songwriting in den Mittelpunkt rückt. Auf das Wesentliche reduziert. Im Idealfall auf das Zusammenspiel Gitarre und Stimme. Die Realität sieht anders aus. Aber auch wiederum nicht. Yorke beschreibt seine Musik als "more beats and electronics, but its songs." Durchaus treffend. "The Eraser" ist keinesfalls das befürchtete Techno-Album. Es ist aber auch defintiv nicht die von vielen erhoffte Singer/Songwriter-Platte. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

Der Startschuss für "The Eraser" fiel bereits vor mehreren Jahren. Damals als Yorke all die Software auf seinen Laptop packte, was ihm ermöglichte vollkommen zwanglos an Musik herumzubasteln. Welcher Stilrichtung auch immer. Mal eben so, wenn ihm danach ist. Fern vom herkömmlichen Studioalltag. Ohne Gedanken daran zu verschwenden, das dabei Entstandene der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nicht mal den Bandkollegen. Yorke spricht in diesem Zusammenhang gerne von "isolated laptop space". Wobei es mit der vollkommenen Isolation dann doch nicht ganz so weit her war. Denn als sich aus all den Sounds und Ideen plötzlich eine Handvoll Songs herauskristallisierten, benötigte es erst den Einfluss von Nigel Godrich - ehemals Haus-Produzent von Radiohead - um Yorke vom Aufnehmen und Veröffentlichen eines gesamten Albums zu überzeugen. Godrich war es auch, der Yorke dazu brachte, dessen Stimme vollkommen unverändert zu belassen. Kein Hall. Stattdessen Natur pur. Noch mehr: Yorkes trauriger Trademark steht sogar durchwegs im Vordergrund, überragt all das Drumherum. Eine weise Entscheidung, die "The Eraser" trotz seiner Laptop-Elektronik zutiefst menschlich erscheinen lässt.

"The Eraser" ist exakt 41 Minuten lang und beinhaltet neun von Thom Yorke geschriebene und selbst eingespielte Tracks. Keine Instrumentals. Alles songorientiert und im Vier- bis Fünf-Minuten-Rahmen. Der Yorke'sche Klangkosmos setzt sich neben dem klagenden Organ aus folgenden Bestandteilen zusammen: Verschrobenes Piano-Geklimper, abgehackte Gitarren-Akkorde, sanfte Synthie-Teppiche. Als Untermalung dienen gleichermaßen dezente als auch spröde Beats. Dazu ein Sample hier, ein Sample da. Herkömmliche Pop-Musik klingt anders. Trotzdem hinterlässt diese beim genaueren Hinhören Spuren, die beim ersten Durchlauf zwar noch nicht so recht zusammenpassen wollen, mit Fortdauer dann aber doch ins Ohr gehen. Anfangs mag dieses Album noch verwirren, weil zu zurückhaltend, zu schräg, zu minimalistisch. Da hört man zwar Melodien heraus, nur müssen sich diese erst beweisen, gegen die vorherrschende Monotonie durchsetzen. Das ist zweifelsohne spannend, erfordert aber auch ein gewisses Maß an Geduld. Die sich jedoch auszahlen soll. Denn die Melodien schaffen es. Sie setzen sich durch. Und so entpuppt sich schlussendlich doch noch jeder einzelne Song von "The Eraser" als kleine Pop-Perle. Nicht jene der gewöhnlichen Sorte, aber immerhin. Wobei man schon mal die rein hypothetische Frage in den Raum stellen kann, ob man auch dann die Zeit aufgebracht und sich diesem mancherorts als weinerlich verschrienen Selbstverwirklichungstrip ein ums andere Mal über Kopfhörer hingegeben hätte, wäre es das Debut eines vollkommen unbekannten Musikers. Nicht doch...

[Thom Yorke @ The Henry Rollins Show: Cymbal Rush]
[Thom Yorke @ The Henry Rollins Show: The Clock]

[Live: Radiohead @ Sziget, Budapest - 12.08.2006]

Thom Yorke: The EraserThom Yorke
The Eraser
10.07.2006


[theeraser.net]
[myspace.com/theeraser]