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Jamie Lidell @ RKH. Die konsequente Soul-Werdung des früheren Klang-Weirdos. Im Rahmen einer ganz speziellen FM4-Radiosession. Und ich dabei. Weil Nutznießer aufgrund ihrer Kreativität.

Es war die Versöhnung nach dem Gummitwist-Desaster. Dabei soll es an diesem Abend doch den Einen oder Anderen gegeben haben, der - wohlbemerkt: bei freier Wahl und ebensolchem Eintritt - lieber woanders gewesen wäre. Einer dieser Leute war auch ich, im Vorfeld nicht ganz sicher, ob denn nun nicht doch lieber Kylie als Jamie. Entschieden hat schlussendlich ohnehin jemand anders. Und das war gut so. Hätte sie nicht den Drang verspürt zu basteln, wäre es nicht ihre Miniaturausgabe eines Kontrabasses aus Leder, Filz, Perlen und Seidenfaden gewesen, der dermaßen gelungen, dass man damit bei angebotenem Gewinnspiel unmöglich nicht als Sieger hervorgehen konnte, ich hätte etwas ganz Besonderes versäumt. Wieder einmal eines dieser vom "alternativen" Jugendkulturradiosender veranstalteten Spezialevents im Radiokulturhaus. Dort, wo mir bislang noch nie wirklich Mieses präsentiert wurde. Das Drumherum, die Nähe zum Künstler, noch dazu das Herumlungern in den gemütlichen Ledersesseln, nein, damit hätte Kylie, was auch immer sie in einer halbleeren Stadthalle getrieben, unmöglich mithalten können.

Jamie LidellMit ein Grund, warum ich das Wien-Gastspiel von Jamie Lidell womöglich links liegen gelassen hätte, war aber auch, dass mein erstes Mal mit ihm erst ein Jahr zurücklag. Lidell als Work-Shop-Leiter beim Donaufestival 2007. Inklusive einer exquisiten Vorstellung zwischen klassischem Bar-Jazz und Live-Loops/Sprech-Akrobatik in der Kremser Minoritenkirche. Mit Gonzales und Mocky. Damals das höchste der Gefühle. Was - im Nachhinein betrachtet - dem Spektakel im Radiokulturhaus allerdings nicht das Wasser reichen konnte. Und das, obwohl erwähnte Buddies diesmal nicht dabei waren. Aber auch, weil jene vierköpfige Band, die Lidell auf aktueller Tour begleitete, Gonzales und Mocky problemlos vergessen ließen. Aufgrund musikalischer Top-Performance. Smooth und eingespielt. Vor allem aber wegen ihres Erscheinungsbildes. Schon als die Band die Bühne betrat, mussten einem die Referenzen nur so durch den Kopf schießen. Der Keyboarder/Pianist und Sly Stone. Spitzenfrisur. Der Gitarrist/Bassist und Bobby Conn. Spitzen-Make-Up. Dazu aber auch Ratlosigkeit. War das eine weiße Kutte mit eingebauter Nackenstütze, die der Saxofonist da anhatte? Und warum wollte der Drummer inmitten dieser schrillen Formation unbedingt so stinknormal rüberkommen?

Ein weiterer Pluspunkt des Fehlens von Gonzales und Mocky war, dass sich Jamie Lidell nicht zurücknehmen musste, er allein im Mittelpunkt stand. Und genauso präsentierte er sich auch. Stilgerecht mit Sonnenbrille, Goldjäckchen, weiter scharzer Hose und Turnschuhen. Ein Showman der Motown-Schule von anno dazumal. Einer, der abgeht wie nur was. Einer mit schier unglaublichem Aktionsradius, der an diesem Abend nicht bloß einmal die Gänge um das sitzende Auditorium herum durchlief, der es sich dabei auch nicht nehmen ließ, sein Publikum zum direkten Mitsingen von Refrain oder Ooh-Oohs ins Mikro zu animieren. Keine Chance zur Flucht, die besten waren in diesem Fall auch die gefährlichsten Plätze im Saal. Egal, für einen, der den Soul in der Stimme hat, der schwärzer als jeder andere Weiße singt, gibt man sich gerne mal für eine kleine Peinlichkeit her. Ohne zu übertreiben: Diese 80 Minuten waren verdammt nahe dran an der Offenbarung. Kylie hin, Kylie her, solch ein Konzertabend darf nicht freiwillig versäumt werden.

Jamie Lidell
14.05.2008 - Radiokulturhaus, Wien.


Setlist:
Another Day / Green Light / Figured Me Out / Out Of My System / When I Come Back Around / Little Bit More / Little Bit Of Feel Good / Game For Fools / Where'd You Go? / Wait For Me.
Encore: All I Wanna Do / Multiply.

[jamielidell.com] [myspace.com/jamielidell]

[Jamie Lidell @ Donaufestival 2007]