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Durchwegs Balladeskes, getragen vom kunstvoll verstimmten Piano. Dazu jene Stimme, die anstatt zu schreien lieber flüstert und haucht. PJ Harvey hat sich auf "White Chalk" neuerfunden.

Polly Jean Harvey

Polly Jean war nahe dran in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Gerade sie, jene Künstlerin, die seit Beginn ihrer Karriere immer darauf bedacht war sich vom herkömmlichen Allerlei abzuheben, konnte bei ihren letzten Alben eine gewisse Stagnation nicht vermeiden. Polly Jean begann sich zu wiederholen. Zweifelsohne immer noch auf hohem Niveau, trotzdem war es für den Kenner ihrer Diskografie unüberhörbar geworden, dass ihrem musikalischen Schaffen das Revolutionäre der Anfangstage abhanden gekommen war. Das einst so verruchte Rock-Bitch, das stets von dieser unerklärbar anziehenden Distanziertheit umgeben war, schien doch tatsächlich in die Jahre gekommen zu sein. Das fiel nicht bloß Kritikern auf, darüber machte sich auch Polly Jean selbst so ihre Gedanken. Welche soweit gehen sollten, dass sie nach ihrem 2004er-Album "Uh Huh Her" kundgab, sich vom Business zurückziehen, dem Aufnahmestudio den Rücken zukehren zu wollen.

Getan hat sie es schlussendlich nicht. Stattdessen der Bruch, das Vorhaben etwas zu tun, was es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Wenigstens nicht unter dem Namen PJ Harvey. "I wanted to make a new sound that I hadn’t heard before. A new kind of music." Wer infolge dessen Weltbewegendes erwartet, liegt bei Polly Jeans achtem Album falsch. Okay, der sperrige Rock N' Roll gehört vorerst der Vergangenheit an. Keine E-Gitarren. Kein Geschreie oder Gekreische. Stattdessen wird Kammermusikähnliches zelebriert. Zerbrechlich wirkendes Songmaterial. Mit dem Klavier als zentrales Instrument. Wozu Polly Jean die Lerche mimt. Zumeist zartes Gesäusel in höchsten Tönen. Eine außerordentlich atmosphärische Kombination, die wie von einer anderen Welt scheint, dabei aber doch von einer ungemein intimen Grundstimmung gekennzeichnet ist. Erinnert sich noch jemand an das sensationelle, leider einzige Soloalbum von Talk Talk-Sänger Mark Hollis? "White Chalk" ist nahe dran, wenn auch beim genaueren Hinhören vollkommen anders.

"Dorset's cliffs meet at the sea. Where I walked our unborn child in me. White chalk poor scattered land. Scratched my palms. There's blood on my hands." Der nachdenklichen Untermalung entsprechend wagt Polly Jean bei "White Chalk" auch inhaltlich den Seelenstriptease. Nicht ihr erster, wohl aber ihr persönlichster. In den Texten ist immer wieder von Verlust und Trauer die Rede. Inhaltlich zumeist nur schwer verständlich, im Wesentlichen aber durchaus deutbar. Polly Jean hatte einiges zu verarbeiten. "White Chalk" war dabei ihr Begleiter. Was bei dieser Therapie herausgekommen ist, stellt die immer schon vorhandene Vorliebe für den Minimalismus in ihrer Musik auf eine neue Stufe. Nichts bei dieser Platte ist zuviel, jeder einzelne Song auf das Wesentliche beschränkt. "White Chalk" mag mit seinen elf Songs und 34 Minuten Spieldauer ein sehr kurzes Album geworden sein, deshalb auch nicht der herkömmlichen Vorstellung eines großen Albums gerecht werden. "White Chalk" erweckt vielmehr den Eindruck eines kleinen, dafür umso feineren Juwels. Unverkennbar, und doch merklich anders. Eine herausragende Musikerin hat zu neuer Stärke gefunden.

PJ Harvey: White ChalkPJ Harvey
White Chalk
24.09.2007


[pjharvey.net]
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