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Der Erstling von iLiKETRAiNS: "Progress-Reform" erweist sich als halbstündige Reise durch oppulente Klanglandschaften. Ein Mini-Epos, das es in sich hat. Düster und wunderschön.

Ich musste ja unbedingt zum Tomte-Konzert in die Arena, um mich auch tatsächlich davon überzeugen zu können, dass ich dort falsch war, an diesem Abend viel lieber woanders gewesen wäre. Selbst schuld. Hätte ich mich doch früher um iLiKETRAiNS gekümmert. Immerhin gibt es ihr Debut-(Mini-)Album bereits seit Ende Juni käuflich zu erwerben. Doch besser spät als nie. Wobei es selbst dazu nicht gekommen wäre, hätte es nicht diesen Zufall gegeben. Jemand hört einen Song, sieht den dazugehörigen Videoclip und will mehr davon. Und ich war es eben, der dieses Mehr besorgte. Da hört man dann schon mal hinein. Sei es auch nur für wenige Momente. In diesem Fall sollte es wesentlich länger dauern. Sogar mehrere Durchläufe in einem Stück. Was mit ausgiebiger Begeisterung gleichzusetzen ist. Schön blöd, wenn man wenig später erfährt, dass genau diese Band, der man da gerade verfallen ist, den nächsten Tag einen Live-Gig in unmittelbarer Nähe spielt, man aber keine Zeit hat, weil bereits Karten für eingangs erwähntes Konzert erstanden wurden. Was soviel zu bedeuten hat, dass ich das erste Wien-Gastspiel von iLiKETRAiNS im B72 verpasst habe. Zu meinem Bedauern. Erst recht, wenn ich an den gleichzeitig stattgefundenen Auftritt von Thees Ullmann & Band zurückdenke.

iLiKETRAiNSNein, die Formation aus Leeds ist kein Werbeträger für die britische Bahn. Was man nicht bloß wegen ihres merkwürdigen Bandnamens sondern auch wegen ihrer Bühnenoutfits in Form von Lokführeruniformen annehmen könnte. Nein, iLiKETRAiNS sind wegen letzterem auch keinesfalls der Spaßmacher-Fraktion zuzurechnen. Im Gegenteil. Ist es doch zutiefst depressives Liedgut, das von dem Quintett mit Vorliebe zum Besten geben wird. Eines jener Sorte, das schon hart an der Grenze des Erträglichen und eine Steigerung alles als empfehlenswert ist. Schon der mehrmalige Genuss von "Progress-Reform" könnte zu merklichen Verhaltensstörungen führen. Es ist jedoch weitgehend bekannt, dass der geneigte Alternative-Rock/Indie-Pop-Konsument hin und wieder nur allzu gerne vor sich herleidet und eben genau deswegen in Sachen Melancholie doch etwas ausschweifendere Musik bevorzugt. Wobei man in diesem Fall bei iLiKETRAiNS zweifelsohne sehr gut aufgehoben ist. Keine lockeren Singalongs. Keine poppigen Dreiminüter. Stattdessen große Gefühle, wo man sich mit Hingabe genügend Zeit lässt um noch größere Stimmungen entstehen zu lassen. Und dauere es auch sieben, acht Minuten pro Song.

"Progress-Reform" mag mit seinen sieben Songs und 32 Minuten Spielzeit zwar “nur“ eine Compilation der bisher erschienenen, streng limitierten 7-Inches sein, schafft es mit seiner ungeheuren Intensivität aber problemlos sich in den Rang eines herkömmliche Longplayers zu hieven. Keine lieblose Aneinanderreihung. Vielmehr ein in sich greifendes, wunderschönes Stück Musik. Natürlich purzeln auch hier die Referenzen. Irgendwo zwischen Sophia, Savoy Grand und Interpol experimentieren iLiKETRAiNS mit ausufernden und komplex strukturierten Komposition. Was zumeist ruhig und nachdenklich mit sphärischen Klängen beginnt, entwickelt sich durch den Einsatz dynamischer Gitarrenwände zu euphorischen Epen, die einem nicht nur wegen ihrer teils durchaus etwas lauteren Passagen Ehrfurcht einflößen. Passend zur düsteren Atmosphäre die dunkle, raue Stimme von Sänger David Martin. Bedrohliches zum Dahinschmelzen. So mag ich es.

iLiKETRAiNS: Progress-ReformiLiKETRAiNS
Progress-Reform
26.06.2006


[iliketrains.co.uk]
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