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Nach sechs Wochen Pause die Fortsetzung der Zwischendurch-Tour. Auf einer ungarischen Festivalbühne. Wenn es eine Band gibt, die überall spielen - und dabei beeindrucken - kann, dann Radiohead.

Sziget: Das Sommerfestival auf einer grünen Donauinsel. Mitten in der Großstadt Budapest. Ein alljährliches Szenario, das den ein oder anderen Wiener an sein eigenes Donauinselfest erinnern mag. Zumindestens hinsichtlich dem ganzen Drumherum und der enormen Menschenmassen. Das war’s dann aber auch schon. Das Sziget ist zwar groß (mehr als 70 Fußballfelder), kommt an das heimische Gratis-Mega-Event für alle Ambros- und STS-Fans aber bei weitem nicht heran. Kein Wunder, muss man um auf die Obudai-Insel zu gelangen Eintritt bezahlen. Wenn auch beachtlich wenig. 99 Euro für die ganze Woche, 25 Euro für einen Tag. Da stinken Festivals vergleichbarer Größenordnung doch merklich ab. Umso bemerkenswerter das weitreichende musikalische Angebot. Im Zentrum des Geschehens, auf der Hauptbühne: Alternative/Indie-Pop/Rock. Auf der zweitgrößten Bühne: Weltmusik. Und für die schwarz gekleidete Menge gibt es zum hemmungslosen Headbangen sogar ein eigenes Heavy Metal-Zelt. Dazwischen noch mehr Bühnen und noch mehr Zelte. Nicht zu vergessen all die Stände, Bars und Shops. Kurz: Eine einzige überdimensionale Party-Meile. Fazit: Einfach grauenhaft. Genau jene Art von Großveranstaltung, um die ich normalerweise einen ganz großen Bogen mache. Trotzdem war ich dieses Jahr dabei. Einen ganzen Tag lang. Der Grund: Das Konzert der wunderbaren, unvergleichbaren und über jede Kritik erhabenen Radiohead. Die einzige Band auf diesem Planeten, für die ich binnen vier Tage zweimal Wien-Budapest (und retour) auf mich nehme. Alles aus Angst am Tag X keine Karte mehr zu bekommen.

Thom YorkeWas war ich damals aber auch begeistert, von meinem ersten Mal mit Radiohead. Jenem Abend des 12. Juli 2003, am Piazza Del Castello in Ferrara. Um dorthin zu kommen, nahm ich 700 Kilometer Autofahrt auf mich. Noch dazu im italienischen Hochsommer. Und das alles damals noch ohne Klimaanlage. Trotzdem: Es war jegliche Mühe wert. Eines jener raren Konzerterlebnisse, von denen man noch Jahre danach allen und jedem vorschwärmen möchte. Dermaßen überirdisch, dass mir schon damals klar war: Besser kann es nicht mehr werden. Erst recht nicht bei einem Festival wie dem Sziget. Auf der einen Seite ein überschaubares Freiluft-Konzert vor der verträumten Kulisse einer italienischen Kleinstadt. Nebst Wasserburg mit vier Türmen und von Gräben umgeben. Alles vor gerade mal ein paar tausend Fans. Auf der anderen Seite ein riesiges Festival mit allem Drum und Dran. Noch dazu im trüben Grau und bei immer wieder einsetzendem Nieselregen. Dem Gedränge nach vor gefühlten 100.000 Menschen (in Wahrheit sollen es 55.000 gewesen sein). Soetwas ist unmöglich miteinander zu vergleichen. Doch was tun? Wie oft hat man schon die Möglichkeit einen Radiohead-Auftritt in "unmittelbarer" Umgebung zu bestaunen?

Radiohead bewegen die Massen. Trotzdem sind sie alles andere als eine Festivalband. Natürlich funktioniert ihre Musik auch im etwas größeren Rahmen. Dafür sind sie einfach zu gut. Der Leidtragende ist einzig der aufmerksame Zuhörer. Ist es für diese rare Spezies bei Festivals inmitten der unzähligen Konzert-Touristen doch alles andere als leicht sich in einem für seine ungeheure Intensivität bekannten Gig gebührend fallen zu lassen. Geblabbere hier, Handyläuten dort. Dazu die - aus welchen Gründen auch immer - ständig herumwandernden Mitmenschen. Da möchte man hin und wieder schon mal gerne auszucken. Tut es dann auch. Am Besten zu jenen Zeitpunkten, wenn es auch Thom Yorke auf der Bühne überkommt. Beispielsweise bei seiner genialen Tanzperformance während "The Gloaming" und "Ideoteque". Wunderbarst. Danach geht es einem gleich besser. Abseits dessen bekommt man von dem Radiohead-Frontmann natürlich vorwiegend jene Darbietung zu sehen, für welche er von seiner Fangemeinde so sehr geliebt wird. Der Mann weiß zu leiden. An diesem Abend besonders eindrucksvoll bei "You And Whose Army", der ersten Zugabe des 22 Songs umfassenden, knapp zweistündigen Sets. Voller Inbrunst sang er in die kleine Kamera auf seinem Piano. Vier grob gepixelte, überdimensionale Ausschnitte seines Gesichtes, mit Hilfe der zwei riesigen Leinwände links und rechts neben der Bühne selbst für die hintersten Reihen gut zu sehen. Und siehe da: Da war er dann doch noch, dieser - wenn auch nur einige wenige Minuten lange - intime Moment, den man bei einem Festivalauftritt eigentlich für unmöglich hält. Da leidet man gleich noch begeisteter mit. Getreu dem Titel der ultimativen Schlussnummer eines jeden Radiohead-Konzertes: "Everthing In Its Right Place". Nun ja, fast...

Radiohead
12.08.2006 - Budapest, Sziget-Festival.


Setlist:
Airbag / The National Anthem / There There / 15 Step / Exit Music / Karma Police / I Might Be Wrong / Nude / Paranoid Android / No Surprises / The Gloaming / How To Disappear Completely / Pyramid Song / Lucky / Just / Idioteque / Street Spirit.
Encore: You And Whose Army / 2+2=5 / Bones / Fake Plastic Trees / Everything In Its Right Place.

[radiohead.com]
[ateaseweb.com]
[lders.nl]

[Review: Thom Yorke - The Eraser]
driftwood - 18. Aug, 11:54:
Meine Meinung zu dem Auftritt gerade hier festgehalten, also ich fand's schwach, nichts von wegen "wunderbarst", gerade eben im Vergleich zu der Italien Tour 2003. 
wasix - 18. Aug, 15:03:
an radiohead selbst...
...gab es nichts auszusetzen. außer vielleicht, dass sie beim set doch etwas zu sehr auf nummer sicher gegangen sind (nur zwei "neue" stücke). meine bescheidene meinung.

das drumherum bei solch einem festival - dazu gehören für mich auch all die konzert-touristen - kann da natürlich nur allzu leicht zum stimmungskiller werden (das hast du ja ganz passend beschrieben). schon allein deshalb muss der "vergleich zu der italien tour 2003" hinterherhinken. da passte damals aber auch wirklich so ziemlich alles. egal welcher festivalauftritt, da stinken sie alle ab...