header
 
Mike Patton und seine Pop-Extravaganza. Man wagte schon gar nicht mehr darauf zu hoffen, darf sich dafür jetzt umso begeisterter zeigen. Erinnert sich noch jemand an Faith No More?

Wenn man sich die Mühe macht im Google - oder auch in anderen Suchmaschinen des WWW - den Begriff "Peeping Tom" einzugeben, dann wird man mit einer beachtlichen Menge an Ergebnissen aus der Sparte "Pornografie" konfrontiert. Der Grund dafür liegt auf der Hand: "Peeping Tom" steht im Englischen für Spanner. "Peeping Tom" ist aber auch der Titel jenes Skandalfilms aus dem Jahr 1960, der für einen Karriereknick von Hauptdarsteller Karlheinz Böhm sorgte. Grund dafür die extreme Darstellung von Voyeurismus: Ein schüchterner Psychopath (Böhm) ermordet junge Frauen und dokumentiert deren Todeskampf auf Film. Das Publikum der frühen Sechziger war schockiert. Erst recht all die "Sissi"-Fans. Die Folge: Der Streifen von Regisseur Michael Powell musste bereits kurz nach der Erstaufführung wieder aus den Kinos verschwinden. Heute gilt "Peeping Tom" - vor allem aufgrund seines beklemmenden Inhaltes - als Meisterwerk.

Mike PattonMike Patton ist bekennender Fan dieses Films. Mike Patton mag in seiner Freizeit gerne auch als Spanner in Erscheinung treten. Reine Vermutung. Fakt ist hingegen, dass dieses Unikum der Alternative-Szene seinem neuestes Projekt genau diesen Namen gegeben hat. Eben "Peeping Tom". Und dabei handelt es sich um jenes Projekt, das nun schon seit 2002 durch die Musikszene geistert, auf dessen Release die Fangemeinde aber schon nicht mehr zu glauben wagte. Sechs Jahre soll Patton an "Peeping Tom" herumgewerkt haben. Gründe dafür gab es mehrere. Einerseits lag es an all den Kollaborateuren, die unbedingt auf der Platte mitwirken sollten: Dan The Automator, Amon Tobin, Kool Keith, Bebel Gilberto, Kid Koala. Um nur einige zu nennen. Und weil nicht mal ein Mike Patton im Stande ist dieses Who-Is-Who an Musikern und Produzenten für Tage und Wochen im Studio einzusperren, verschickte er seine Songs einfach in die ganze Welt. Bis das bearbeitete Material wieder zurückkam, konnte dann schon eine ganze Weile vergehen. Andererseits ist Mike Patton ein vielbeschäftigter Mann. Der wartet nicht einfach darauf, dass etwas weitergeht, der stürzt sich gleich ins nächste Projekt. Und davon gibt es im Patton-Universum bekanntlich nicht gerade wenige. Dazu kommt noch das eigene Platten-Label. Nicht zu vergessen seine neueste Liebe: Die Schauspielerei. Bei soviel Arbeitswahn kann es dann schon mal passieren, dass sich die Fertigstellung eines der unzähligen Projekte um das ein oder andere Jährchen verzögert.

"I don't listen to the radio, but if I did, this is what I'd want it to sound like. This is my version of pop music." Folglich dieser Aussage von Mike Patton kann man "Peeping Tom" - ganz im Gegensatz zu seinen letzten, eher noisigeren, fast schon dem Avantgarde zuordenbaren Platten - durchaus als Pop-Album bezeichnen. Was von einem Pop-Album im herkömmlichen Sinn natürlich immer noch meilenweit entfernt ist. Für ungeübte Ohren mag "Peeping Tom" unverändert ziemlich abgefahrenes Zeug sein. Für die alteingesessene Hörerschaft gehen die elf Songs hingegen schon fast als Ohrwürmer durch. Von wegen Kompositionen mit richtigen Melodien. Ganz großen sogar. Dazu nachvollziehbare Strukturen. So richtig schön nach dem Prinzip "Verse-Chorus-Verse". Nicht bloß wildes Herumgeschreie und -gebolze. Beispiele gefällig? Das laszive "Mojo". Soetwas wie der legitime Nachfolger von "Midlife Crisis". Inklusive Britney Spears-Hommage am Ende. Oder das für Massive Attack fast schon untypisch aggressive "Kill The DJ". Eine richtig fiese Moshpit-Hymne. Aufgrund der nicht für möglich gehaltenen - fast schon ordinären - Seite der Sangespartnerin auch "Sucker", wo eine gewisse Norah Jones Worte wie "Motherfucker" ins Mikro haucht, dass einem beim Hören ganz mulmig wird. Der heißeste Scheiß in diesem Jahr. Ein herrlicher Stil-Misch-Masch aus Rock, Trip- und Hip-Hop. Ein durch und durch spannendes Multi-Genre/Multi-Artist-Album. Und diese Stimme: Ein einziger Genuss. Endlich singt er wieder. Da fühlt man sich doch tatsächlich an die ruhmreichen Faith No More-Zeiten erinnert. Dass Mike Patton einem soetwas nach dieser gefühlten Ewigkeit noch mal gestattet...

[Live @ Arena, Wien - 21.11.2006]

Peeping Tom: stPeeping Tom
st
29.05.2006


[ipecac.com]