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Ein Konzeptalbum über den Weihnachtsmann? Basierend auf einem hundert Jahre alten Brief? Den Sinn für's Absurde haben sich die Dresden Dolls auch auf ihrer zweiten Platte erhalten.

Es war einmal ein kleines Mädchen namens Virginia. Als Achtjährige kamen in ihr erstmals Zweifel auf, ob es den Weihnachtsmann denn tatsächlich gäbe. Das führte soweit, dass Virginia einen Brief an die New York Sun schrieb. Der Inhalt des von ihr im Jahre 1897 verfassten Schreibens lautete folgendermaßen: "Dear Editor. I am 8 years old. Some of my little friends say there is no Santa Claus. Papa says, "If you see it in The Sun, it's so." Please tell me the truth, is there a Santa Claus? Virginia O'Hanlon". Wer hätte damals wohl daran gedacht, dass sich mehr als hundert Jahre später ein Bostoner Punk-Kabarett namens Dresden Dolls mit genau diesem Briefverkehr beschäftigen und es als Inspiration für ein gesamtes Album nehmen würde. Die Antwort der New York Sun bin ich noch schuldig: "Yes, Virginia, there is a Santa Claus." [more]

Amanda PalmerDie Dresden Dolls und der Weihnachtsmann? Passt soetwas überhaupt zusammen? Keine Sorge: Amanda Palmer (Vocals, Piano) und Brian Viglione (Drums, Gitarre) zelebrieren auf ihrem neuen Album jetzt nicht einfach die "heile Welt". Ganz im Gegenteil. Das Duo hat sich von seiner unkonventionellen Darbietung, wie wir sie bei ihrem selbstbetitelten Debutalbum schätzen und lieben gelernt haben, nicht wirklich weit wegbewegt. Vor allem inhaltlich. So wurde dann auch die aufgeworfene Frage über die Existenz des Weihnachtsmannes um das ein oder andere vermeintlich obskure Detail angereichert. Dafür begibt man sich textlich in Tabuzonen und provoziert, was das Zeug hält. Ganz dem Weirdo-Status der Dresden Dolls entsprechend geht es auf "Yes, Virginia" um Themen wie Holocaust ("Mrs. O"), Abtreibung ("Mandy Goes To Med School"), Identitätskrisen ("Sex Changes") und - nicht zu vergessen - Orgasmen ("First Orgasm"). Nicht gerade der Stoff, mit dem man Achtjährige konfrontieren sollte. Und der gute, alte Santa Claus? Dem würde bei all den pikanten Inhalten wohl das Gesicht rot anlaufen.

Brian ViglioneMusikalisch bleiben die Dresden Dolls auf "Yes, Virginia" ihrem erklärten Vorbild treu. Kurt Weill ist allgegenwärtig. Auch diesmal läuft es im Grunde auf die inzwischen bekannte Mischung aus Kabarett, Punk und Songwriting hinaus. Zumeist auf Klavier, Schlagzeug und Stimme reduziert. Und gewohnt ungestüm zum Besten gegeben. Allerdings nicht immer auf ohrenbetäubende Weise. Denn hin und wieder berufen sich die Dresden Dolls auch auf zerbrechlich wirkendes Balladengut und schlagen infolge dessen auch mal merklich ruhigere Töne an. Was wiederum zu genau jenem Wechselspiel aus Laut und Leise führt, dass die Beiden vor zwei Jahren zu den Liebkindern der europäischen Musikjournaille werden ließ. Trotzdem ist "Yes, Virginia" alles andere als eine Kopie des Vorgängers. Natürlich sticht einem auch in diesem Fall zuallererst die Kombination Piano & Drums ins Ohr. Nur klingt das Ganze diesmal nicht mehr ganz so sehr nach Theatermusik wie auf der ersten Platte. Stattdessen kann man "Yes, Virginia" durchaus den Flair eines Rock-Albums bescheinigen. Natürlich in Form eines hoffnungslos überzogenen Retro-Monsters. Das allerdings auf die üblichen E-Gitarren verzichtet. Was dem durchaus breiten Sound der Platte allerdings nichts anhaben kann. Viel zu ausgelassen klimpert Miss Palmer auf ihre Tasten. Und viel zu aggressiv hämmert Mister Viglione auf seine Trommeln. Für soetwas gibt es keine wirklich passende Schublade. Muss es auch nicht. Denn abseits ihrer bizarren und ausschweifenden, aber auch eindringlichen Mischung aus diesem und jenem beweisen die Dresden Dolls mit "Yes, Virginia" vor allem eines: Nämlich dass sie Songs schreiben können. Ziemlich abgedrehte. Aber auch verdammt gute. Wen interessieren da noch diverse Rock-Klichees, die "Dreigroschenoper" oder der Weihnachtsmann? [E-Card]

[Live: Arena, Wien - 31.05.2006]

Dresden Dolls: Yes, VirginiaDresden Dolls
Yes, Virginia
17.04.2006


[dresdendolls.com]